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"Trialogue colombophile" Sabrina von Elten im Gespräch mit Olaf Hirschberg

"De tous temps, l' être humain s'est exprimé au travers de divertissements considérés comme une partie intégrante de la vie sociale"
Pierre Doutrelant

Tauben im Trialog oder Trialog mit Tauben? Olaf Hirschberg greift bei seinem Ausstellungsprojekt auf eines der archaischsten Kommunikationsmittel zurück - die Brieftauben. Im folgenden Interview gibt uns der Künstler einen Einblick in seine Ideenfindung und beschreibt seine Auseinandersetzung mit dem ungewöhnlichen Kunstprojekt'.

In welchem Rahmen hast Du den "Trialogue colombophile" entwickelt?

Mein Beitrag zu dieser Ausstellung entstand im Rahmen eines europäischen Künstleraustausches mit dem Arbeitstitel: íville et lien social'- ídie Stadt und ihre soziale Bindung'. Für die Ausschreibung und die Durchführung des Projektes haben sich maßgeblich das íinstitut français', das Kulturamt Köln und die Kunsthochschulen von Köln, Lille und Barcelona eingesetzt. Der Künstleraustausch bestand in einem zweimonatigen Stipendium für insgesamt 6 Künstler aus Köln, Lille und Barcelona, die ihre Arbeit jeweils an den Kunsthochschulen der drei Städte im Hinblick auf die thematische Vorgabe konzipierten. Die Gruppenausstellungen werden in Köln im 'Institut français' und in Lille im studio national des arts contemporains 'le Fresnoy' zu sehen sein.

Wie kam es zu Deiner Themenfindung?

Meine Fragestellung konzentrierte sich zunächst auf den Begriff ísoziale Bindung', d.h. was kann soziale Bindung sein, was ist soziale Bindung für mich, wo kann ich diese in Lille finden, was gehört dazu? Und natürlich hat dies etwas mit den Menschen zu tun, die in dieser Region verwurzelt sind, und ich habe mich gefragt, was machen denn diese Menschen, was passiert hier im Unterschied zu der Stadt aus der ich komme? Bei meinen Erkundungsgängen durch Lille ist mir dann aufgefallen, daß es in dieser Stadt eine Struktur gibt, die dem Ruhrgebiet vergleichbar ist. Das Sterben von Altindustrien, hier insbesondere der Textilindustrie, hat zunächst zu hoher Arbeitslosigkeit geführt und zieht nun, von neuen wirtschaftlichen Entwicklungen geprägt, einen Prozess nach sich, der zwangsläufig eine Umstrukturierung und Modernisierung der Gesellschaft zur Folge hat. Allerdings weiß man dabei noch nicht genau, wohin das führt und wie das vor sich gehen soll, und so wird zunächst versucht die neuen Branchen, d. h. den Bereich der Kommunikationsmedien, fördern. Durch diese Beobachtung angeregt, habe ich mich deshalb gefragt, was für die Einwohner von Lille typisch ist und konnte feststellen, daß es dort sehr viele althergebrachte, unter dem Einfluß Flanderns stehende, Traditionen gibt, die immer noch greifen. So wird die Brauchtumspflege, u. a. die Aufrechterhaltung altertümlicher Spiele sehr ernst genommen. Dazu gehören: íLa Bourle', soetwas wie Boule mit großen Holzscheiben, die wie holländische Käsescheiben aussehen und die durch eine Halle geschoben werden oder diese Riesen des Nordens (íles géants du nord'), aber auch Singvogelwettbewerbe oder die in anderen Ländern weitgehend verbotenen Hahnenkämpfe.

Jetzt sind wir schon bei den Vögeln und kommen der Sache näher.

Zu den charakteristischen Vereinen in dieser Stadt, die einen wichtigen Anteil an der Organisation und Strukturierung des Miteinander haben, gehören eben auch die Brieftaubenzüchter. Die Brieftaubenzucht wurde in der Region von Lille ursprünglich insbesondere von den Bergarbeitern traditionell als Sport betrieben. Auf die Brieftaube bin ich also gestoßen, weil ich nach diesen Vereinen gesucht habe. Die Brieftaube ist eines der archaischsten Kommunikationsmedien, die man kennt. Und Kommunikation war und ist nach wie vor ein zentrales Thema meiner künstlerischen Arbeit. Blendet man einmal das Bild der verwahrlosten Flugratten unserer Städte aus und begibt sich weit zurück in die Vergangenheit, so bekommt dieser " Flugbote" eine tiefe Bedeutung. Die Bibel erzählt, daß eine von Noah ausgesandte Taube mit dem Ölzweig zurückkehrte und damit das Ende der Sintflut, also den Frieden zwischen Gott und den Menschen anzeigte Um 1000 n. Chr. unterhielten die arabischen Herrscher schon ganze Systeme an Taubenpoststationen, um über ihre ausgedehnten Reiche herrschen zu können. Als Friedenstauben waren und sind diese Tiere bis heute im Kommunismus und in der westlichen Welt ein weitverbreitetes politisches Symbol, wohingegen in Japan die Taube als das Attribut des Kriegsgottes gilt, was man auch an ihrer Darstellung in den Mangas ablesen kann. Tauben entwickelten sich aber auch in Europa schnell zu einem Machtmittel, ihre Zucht zu einem Privileg der Adligen. In Frankreich existierte dieses Privileg bis 1799. Schon bald wurde man auch auf ihren militärischen Nutzen, nämlich die strategische Übermittlung von Nachrichten aufmerksam: so haben Tauben eine wichtige Rolle in der Belagerung von Paris durch die Preussen 1870/71 und ebenso im 1. Weltkrieg in der Luftaufklärung gespielt. In Lille legt ein Kriegsdenkmal für Brieftauben Zeugnis vom Kriegseinsatz der Tiere ab. Und schließlich haben zwei berühmte Persönlichkeiten ihre Erfolgsgeschichte unter anderem den Brieftauben zu verdanken: zum einen Reuter und zum anderen Rothschild. Mit Brieftauben überbrückte Reuter 1850 eine Telegraphenlinie, die von Paris nach Brüssel und von Aachen nach Berlin errichtet war, sich aber auf der Strecke von Aachen nach Brüssel noch im Bau befand. Bis zur Fertigstellung der Telegraphenlinie zwischen Aachen und Brüssel, erwirtschaftete Reuter mit den Brieftauben ein Vermögen, das später die Gründung der Nachrichtenagentur Reuters in London möglich machte. Rothschild andererseits handelte Anfang des 19 Jhd. in London mit Aktien- und Wechselkursen, sein Einsatz von Brieftauben für die zuverlässige Nachrichtenübermittlung der Kriegslage auf den Schlachtfeldern Europas ermöglichte ihm insbesondere bei der Schlacht um Waterloo einen Informationsvorsprung, der seinen Reichtum begründete. Es gibt neben diesen zahlreichen Anekdoten, die sich um die Brieftauben ranken, aber auch Verwendungen der Vögel, die ihren Nutzen bis zum heutigen Tage belegen, wie z. B. durch ein französisches Krankenhaus in Grandville in der Region des Calvados, welches Brieftauben seit 1983 einsetzt, um Blutkreuztests bei Unfallverletzten zu transportieren. Mit den Brieftauben überwinden sie eine verkehrsmässig überlastete Strecke von ca. 25 km, und die Tiere stellen für diesen Zweck offenbar das geeignetste Transportmittel dar.

Soviel zur geschichtlichen Bedeutung der Brieftauben und ihrer Nutzung. Nun aber die Frage, was macht der Künstler mit den Brieftauben und wie begegnet die Welt der Brieftaubenzüchter dem Exoten?

Für mich persönlich ist es einfach interessant, daß wenn man ins Ausland geht, sich mit Menschen beschäftigt. Und am besten mit denen, die nicht das gleiche machen und nicht aus der gleichen Welt kommen wie man selbst, sondern das man etwas anderes als das längst Bekannte und zur Gewohnheit gewordene aufspürt . Ganz spannend fand' ich dabei, daß man diese Menschen in ihren Vereinsstrukturen kennengelernt hat, einem sogenannten Mikrokosmos sozialer Bindungen.
Brieftaubenzüchter finden es interessant, wenn man sich für sie interessiert, denn den Sport betreiben sehr viele und dennoch ist er weitgehend unbekannt und in sich abgeschieden. Öffentlichkeit ist für sie also von Bedeutung. Es geht mir aber letztendlich in meinem Projekt darum, zwei Welten miteinander zu verbinden: die Kunstwelt zum Einen- wo die íKunstsinnigen' Ausstellungen besuchen und sich den künstlerischen Ergüssen der Kreativen aussetzen, sie genießen oder auch nicht- und zum anderen diese sehr bodenständige Welt der Brieftaubenzüchter. Ich möchte einen Einblick geben in eine uns fremde Welt, ohne dies in Form einer Außenbetrachtung zu tun, also keinesfalls dokumentarisch, sondern indem man mittendrin ist. Das sieht dann so aus, dass ich als Künstler in diese Vereine gehe und in den drei verschiedenen Ländern versuche, Leute zu finden, um sie für mein Projekt zu begeistern. Dafür muss ich ihnen dann die Regeln erklären, die ich gemeinsam mit einem französischen und einem spanischen Züchter aufgestellt habe. Manche fragen sich natürlich wozu das gut ist. Es gibt dabei nämlich nicht wirklich etwas zu gewinnen, es geht bei dem Projekt vor allem eine Idee. So gibt es natürlich unter den Brieftaubenzüchtern solche, die überhaupt kein Interesse haben, sich an dieser Idee künstlerischen Ursprungs zu beteiligen, weil sie ihr Hobby als ernsthaften Sport verstehen, womit man auch viel Geld verdienen kann. Diese sind zwar sehr professionell, die Poesie aber ist ihnen vielleicht dabei verloren gegangen. Andererseits findet man natürlich die Liebhaber und Amateure, die das gerne machen und spannend finden. Mir geht es geht's in der Hauptsache darum, daß Menschen sich kennenlernen, die normalerweise nicht zusammentreffen.

Wie wirst Du der Kunstwelt Dein Projekt präsentieren?

Ich werde das Flugbüro in die Ausstellung integrieren. und Diese Zentrale wird ein wesentlicher Bestandteil sein. Ich will, daß die Leute das Projekt verstehen, begreifen, daß es Leute gibt, die ihre Tauben wegen der Ausstellung zwischen drei Städten hin und her fliegen lassen. Ich will, daß sie verstehen, daß diese Art von archaischen Kommunikationsmitteln von der Geschichte ihrer Funktion sehr ähnlich ist wie z. B. ein Medium wie das Internet. Eine Mail kann verloren gehen, eine Taube ebenso. Den Weg, den die Taube nimmt kennt niemand. Sie orientieren sich mit Hilfe des Magnetfeldes der Erde, des Sonnenstandes und ihrer Gerüche. Sie wollen aber eigentlich nur nach Hause, von wo sie deportiert worden sind, sie wollen zu ihrem Partner zurück.

Jetzt sind wir schon sehr weit in dem ganzen Ablauf und könnten eigentlich über die Spielregeln sprechen,wer wird teilnehmen, wie ist der Streckenverlauf und was ist das Ziel?

Der Streckenverlauf, weil es im Winter ist und die Tauben dann schlechtes Wetter haben und in der Mauser sind, wird über mehrere kleine Etappen erfolgen. Mit Ausstellungsbeginn, dem 10. November sollen die Tauben aus dem Institut Français in Köln losfliegen. Die erste Etappe wäre eigentlich Lille, allerdings werden einige Städte als Zwischenziele angeflogen, wie z.B.: Aachen - Rouen - Orléans - Limoges - Montauban - Perpignan. Das kommt auch auf die Teilnehmer an. Ich brauche ja aus jeder Stadt drei Züchter, die jeweils eine Taube zur Verfügung stellen. Es sollen immer drei Tauben gleichzeitig aufgelassen werden, denn zum Einen macht es das für die Tauben etwas einfacher, zum Anderen wurden schon im Altertum für wichtige Informationen mehrere Flugboten gleichzeitig aufgelassen, um die Sicherheit der Übermittlung zu gewährleisten. Vor dem Auflaß werden die Tauben mit einer Art Staffelstab markiert, der dann an die nächsten Flieger weitergereicht wird. Die drei Tauben starten also morgens aus Köln und kommen irgendwann in Aachen an, dann wird die Zeit gemessen, und zu mir in mein Flugbüro übermittelt. So werden die Zeiten aller Etappen bis zur Rückkehr nach Köln addiert. Durch diesen sportlichen Wettbewerb dreier Mannschaften untereinander bleibt der Staffelflug auch in der Logik des Brieftaubensports. Nicht zu vergessen ist auch die logistische Vorbereitung. Denn natürlich müssen vor dem Start alle Tauben an ihre jeweiligen Startorte gebracht werden, d.h. entweder die Züchter besuchen sich untereinander oder treffen sich auf halbem Weg, um ihre Tauben auszutauschen.

Was werden die Besucher Deiner Ausstellung sehen?

Im Garten des Institut Français wird ein Bauwagen geparkt. Darin richte ich mir für die Zeit des Taubenfluges mein Büro ein. Von hier aus koordiniere ich das Projekt, hier werden die Informationen eingehen: wann ist welche Taube angekommen, welche wird noch vermißt usw. Per Telefon, Fax oder Internet kommuniziere ich von dieser Zentrale aus mit den Züchtern und diskutiere mit ihnen über den nächsten Auflaß und das Wetter oder ähnliches. Die Besucher können in dieses Flugbüro eintreten, es wird eine Landkarte mit den Etappen zu sehen sein und meine Hilfmittel, die ich für das Unternehmen benötige. Sie werden Sitzgelegenheiten vorfinden und können aus dem Fenster in den Himmel bzw. raus ins Grüne blicken. Es ist ein Versuch, der dazu führen soll, daß man seine Vorstellung entwickelt, wie so ein Körper per eigener Kraft eine solch große Distanz überwindet - in unserer heutigen Kommunikationswelt gibt es ja eigentlich keine Körper mehr, nur noch Teilchen, die wir gar nicht mehr begreifen können. Das übersteigt unsere Vorstellungskraft. Auch wenn die Leistungen der Taube uns zuweilen sehr erstaunen, von ihrem Flug können wir uns ein Bild machen. In meinem Bauwagen hat der Besucher so die Chance, sich seine Vorstellung von der Verbindung der Städte Köln, Lille und Barcelona zu machen.

 
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